URGESTEINE


Träger großer Namen nützen diese gerne, um sie vor sich herzutragen und sich im Bedarfsfall auch dahinter zu verstecken. Jene drei Menschen, die wir für diese Strecke getroffen haben, haben auf den ersten Blick vielleicht nicht viel gemeinsam. Auf den zweiten jedoch schon – vor allem deshalb, weil sie trotz ihrer ganz unbestreitbar großen Namen, nichts an Nahbarkeit verloren haben. So ließ uns Karl Merkatz in sein Haus und seine Gedankenwelt und Erika Pluhar gewährte uns Zugang zu ihren Erfahrungen und dem kleinen Wäldchen, in dem sie lebt. Marianne Kohn, Betreiberin der legendären Loos Bar in Wien, gewährte uns Zutritt zu jenem Labyrinth aus ineinander verstrickten Geschichten, in dem nur sie sich vollständig zurechtfindet. Wir haben vieles dabei gelernt – über die große Liebe, noch größere Leidenschaften und warum der Satz „Wenn ich aufsperr’, dann kannst du zusperren“ meistens nichts zu bedeuten hat.

 

 Karl Merkatz | Schauspieler

Egal ob noch in der Oberstufe oder schon in Pension, fast jedem fällt zu Karl Merkatz etwas ein - Die meisten bringen ihn mit dem Fernsehen in Verbindung, überraschend wenige kennen ihn aus dem Theater. Dabei erzählt sein wunderschönes, altes Haus in der Nähe von Strasswalchen vor allem von einem: Seiner großen Leidenschaft für seine Theaterrollen.

 

Was bedeutet Ihnen die Natur?

Nachdem ich 20 Jahre lang in Deutschland am Theater war – auch in großen Städten wie Hamburg und München – war der Wunsch wieder außerhalb der Stadt zu wohnen irgendwann sehr groß. Wir haben das Haus hier schon 1970 gefunden, mit dem Plan wieder nach Österreich zurückzukehren. 400 Leute haben damals hier gewohnt, wir waren Nummer 401 und 402.

War es der Wunsch nach einem fixen Zuhause, der Sie und Ihre Frau hierher geführt hat?

Wenn ich einen Vertrag für eine Rolle angenommen habe, war ich oft monatelang nicht da. Die Sehnsucht irgendwohin heimzukommen war deshalb immer sehr groß. 1976 habe ich dem ein Ende gesetzt und keine langen Verträge mehr angenommen. Dann begann auch das Fernsehen. Mittlerweile mache ich einfach das, was kommt. Ich habe keine Agentur, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass immer etwas kommt.

 

 

Fällt es Ihnen schwer nun weniger zu machen?

Nein, überhaupt nicht. Es tun sich ohnehin immer wieder Dinge auf. Ich lasse es einfach passieren. Wenn es kommt, kommt es – wenn nicht, dann eben nicht. Ich möchte nur nicht fest irgendwo sein. Außer eben hier – alles was ich tue geht von hier aus und ich komme deshalb auch immer wieder hierher zurück.

Wie sehr beeinflussen die Figuren, die man spielt, einen selbst?

Man muss so tief in die Figuren eindringen, dass man sich zeitweise in sie verwandelt. Vor der Premiere eines Stücks bin ich acht Tage lang nicht auszuhalten. Da werde ich eine andere Person. So tief muss es gehen. Beim „Bockerer“ war das zum Beispiel so. Oder beim „Mann von la Mancha“. Meine Tochter meinte damals immer zu mir: „Papa, das bist ja du.“ Und ich habe ihr dann versucht zu erklären, wie das ist, wenn man einen anderen Menschen spielt. 

Müssen Sie die Rollen danach wieder abschütteln oder passiert das ganz von selbst?

Muss ich nicht. Das ist das Seltsame daran. Bis zur Premiere bin ich ein anderer Mensch, weil ich eben so tief in der Figur stecke. Dann spiele ich sie nur noch – es wird zur ganz normalen Praxis und man gewöhnt sich an die Rolle.

 Als Kind habe ich sehr oft von meinen Eltern gehört, dass ich alles werden kann, was ich möchte. Wie war das bei Ihnen?

Damals war das ganz anders. Ich habe als Kindergartenkind schon gerne kleine Rollen gespielt und wollte nach Kriegsende dann auch an eine Schauspielschule. Meine Mutter hat damals aber zu mir gesagt, dass das Theater nichts für mich ist – ein Hungerleider-Beruf. Dann bin ich eben Tischler geworden. Der Drang zu spielen hat aber niemals aufgehört. Nach der Tischlerlehre habe ich in Wien bei verschiedenen Tischlern gearbeitet, unter anderem auch bei einem Antiquitätentischler. Weil ich dort so glücklich war, hat sich bei mir zum ersten Mal ein Verständnis dafür entwickelt, dass es bestimmte Dinge gibt, die ich wirklich mag. Mit diesem Wissen bin ich dann an eine Schauspielschule in der Schweiz gegangen und habe dort bei Gustav Knuth und Walter Richter gelernt. Von dort bin ich dann weiter nach Salzburg, ans Mozarteum. Danach habe ich mich bemüht in Deutschland Fuß zu fassen, das gelang mir aber zunächst nicht. Ich habe an 48 Theater geschrieben, keines hat geantwortet. Bis auf ein einziges – das Kleine Theater Heilbronn. Dort ist dann sehr viel Gutes passiert, unter anderem habe ich dort auch meine Frau kennengelernt, mit der ich jetzt seit 62 Jahren verheiratet bin.

Marianne Kohn I Barbesitzerin

Wenn Marianne Kohn von ihrer Bar, der Loos Bar, erzählt, dann spricht sie über eine Institution. Dem Stephansdom sehr ähnlich, wie sie meint. Auch wer über Marianne Kohn spricht, nimmt gerne mal das Wort Institution in den Mund. Am klügsten ist es jedoch, man lässt sie einfach selbst erzählen – von all den Begegnungen und Begebenheiten, die genauso einzigartig sind wie die kleine Bar im Ersten und ihre Besitzerin.

 

Sie verbringen ja nur wenige Tage der Woche in Wien. Warum sind Sie so viel am Land?

Ich brauche das als Ausgleich zur Loos Bar – irgendwann entwickelt man dann nämlich doch einen gewissen Menschenhass. Die Leute werden aber auch immer depperter, auf jeden Fall kommt es mir so vor. Ich habe ein Haus in der Nähe der Hohen Wand – eine der schönsten Gegenden. Ich brauche nicht mehr. Wenn ich schlecht aufgelegt bin, dann fahre ich dort ein bisschen herum. Leider schließt in der Gegend alles, selbst Kaffeehäuser sind schwer zu finden. Aus dem einfachen Grund, dass niemand mehr hinfährt. Alle, vor allem die Jungen, setzen sich lieber in den Flieger und fliegen nach Ibiza.

Ist es einsam da draußen?

Nein, überhaupt nicht. Ich war zum Beispiel mit Michael Glawogger sehr gut befreundet. So gut, dass er fast jeden Sonntag zu uns ins Haus kam. Am Tag vor seinem Begräbnis habe ich geträumt, dass er bei mir am Bett steht und sagt, dass das alles nur für einen Film war. In Wien hätte ich einen solchen Traum sicher nicht gehabt, dort draußen aber schon

War Wien früher eine bessere Stadt?

Was früher viel besser war – es gab vier Lokale und die waren alle gut. Mittlerweile ist es ja so, dass so gut wie jeder eine Bar aufmacht. Davon gibt es so viele, dass ich das Wort „Bar“ schon gar nicht mehr hören kann. Wie oft ich schon gehört habe „Wenn ich aufsperr’, dann kannst du die Loos Bar zusperren“ (lacht). Gegen die Loos Bar kommt aber niemand an – es ist einfach das schönste Lokal überhaupt. Ich merke das auch daran, dass andere Lokalbesitzer die Einrichtung kopieren. Und weil niemandem etwas Eigenes einfällt, gibt es auch nichts Gescheites. Die Loos Bar ist aber auch nicht einfach nur eine Bar, sondern eine Institution, wie der Stephansdom. Man könnte auch sagen, dass sie nebenbei eine Bar ist, aber hauptsächlich ist sie ein Kunstwerk. Alles andere sind einfach Bars.

Demnach ist auch das Wiener Nachtleben nicht mehr so wie früher?

Nein, ganz bestimmt nicht. Fürchterlich ist das jetzt. Ich finde auch, dass die Männer früher richtig gut ausgeschaut haben – mit ihren langen Haaren und ihrer schlanken Statur. Jetzt sind alle dick und grauslich, sogar die Jungen. Manchmal kommt es mir so vor, als ob die Jungen, die jetzt so draußen herumlaufen, nur daran denken, möglichst viel zu verdienen und dabei über Leichen gehen. Sie verstehen nicht, dass man durch gute Arbeit meistens nicht reich wird – eben nur dann, wenn man dazu bereit ist, über Leichen zu gehen.

Erika Pluhar I Schriftstellerin

Bis sie beschloss, keine Rollen mehr spielen zu wollen, war Erika Pluhar Ensemblemitglied am Burgtheater. Danach wurde sie Schriftstellerin, begann ihre eigenen Lieder zu schreiben und Konzerte zu geben. Nicht immer einfach, wie sie meint, denn die Gesellschaft hat es gerne, wenn man in einer Schublade bleibt. Dass das für Erika Pluhar nie eine Option war, merkt man daran, mit welcher Hingabe sie ihre Geschichten erzählt.

 

Welche Bedeutung hat die Natur für Sie?

Um mein Haus herum versuche ich die Natur möglichst unberührt walten zu lassen. Dabei ist fast ein kleines Wäldchen entstanden. Natürlich ist im Garten trotzdem einiges zu tun, aber ich habe es insgesamt sehr gerne, wenn nicht zu viel gestaltet wird. Wenn ich woanders hinkomme, macht es mich auch immer sehr froh, wenn mich Natur ganz groß und frei umgibt. Deswegen ist auch der klassische Tourismus nichts für mich – den sehe ich mittlerweile eher als Feind der Menschheit.

Leben Sie diesen Hang zur Natur auch noch in einer anderen Weise? Wie wichtig ist es Ihnen, sich natürlich zu geben – ist das als Schauspielerin überhaupt möglich?

Ich habe mir einen sehr natürlichen Umgang mit meinem Publikum erarbeitet. Früher, als ich noch Teil eines Ensembles war, war das etwas anders – da ging es in erster Linie darum, was die Inszenierung vorschreibt. In den Lesungen und Konzerten, die ich jetzt noch mache, kann ich auf die Menschen ganz natürlich zugehen. Das ist aber weniger ein Bemühen, sondern liegt einfach auch in mir. Die Attitüde, die der Bezeichnung „Star“ meist anhaftet, hat mir eigentlich nie gefallen – auch zu jener Zeit nicht, als man mich eine Femme Fatale genannt hat. Im Grunde waren das aber immer eher die Rollen, die ich gespielt habe. Mit 60 Jahren bin ich nach 40 Jahren vom Burgtheater weggegangen. Viele haben mich damals gefragt, warum ich das tue und ich habe versucht ihnen zu erklären, dass ich einfach keine Rollen mehr spielen möchte. Das haben sehr viele nicht verstanden – dabei ist das doch der maßgeblichste Grund. Wenn ich jetzt vor Menschen gehe, spiele ich keine Rolle mehr. Das empfinde ich als große Freiheit.

Früher waren sie Schauspielerin, mittlerweile sind sie Schriftstellerin. War das Schreiben immer schon Teil Ihres Lebens?

Als ich begonnen habe die Welt wahrzunehmen, war ja immer noch Krieg. Nach dem Krieg bin ich unglaublich gerne zur Schule gegangen, denn dort gab es keine Bomben und man konnte etwas lernen – auch das Schreiben. Geschrieben habe ich also immer schon gerne, auch als ich noch am Burgtheater war. Daran, auch etwas zu veröffentlichen, habe ich aber erst sehr viel später gedacht.

Das Adjektiv „persönlich“ fällt sehr oft, wenn es um Ihre Bücher geht…

Jeder Mensch der schreibt, schreibt persönliche Bücher. Bei mir wird es deshalb oft in besonderem Maße so wahrgenommen, weil man von mir vor meinen Büchern schon sehr viel wusste. Aber natürlich schreibt jeder Mensch immer mit der Kompetenz der eigenen Erfahrung. Ein Anteil Fiktion ist auch bei mir trotzdem immer dabei – glücklicherweise, denn die Fiktion ist etwas Herrliches. Gerade, wenn man als Kind jene Dinge gesehen und erlebt hat, die ich gesehen und erlebt habe, ist es etwas ganz besonders Tolles, wenn man einfach Geschichten erfinden kann. Das Kino hat für mich in dieser Beziehung immer eine sehr wichtige Rolle gespielt. Mein allererster Film, der in einer Art Kino – in einem Wirtshaussaal – gezeigt wurde, war allerdings „Krambambuli“. Also jener Film, bei dem vermutlich jeder weint. Und obwohl dieser Film schrecklich war, war er etwas anderes als der Krieg. Das Erzählen von Geschichten ist ein wichtiger Teil meines Schreibens, obwohl vieles natürlich sehr nahe an meinem Leben ist. Letztlich bin ich deshalb auch ans Theater gegangen, weil man dort Geschichten erzählt.

 
Fotografie | MAXIMILIAN LOTTMANN  Interviews | SARAH WETZLMAYR