PAULS JETS - GROUND CONTROL TO MAJOR PAUL


Pauls Jets haben sich in ihrer relativ kurzen Bandgeschichte schon in einige bereits bestehende Geschichten einordnen müssen – in die eines immer noch wellenartig prognostizierten neuen Austropop-Hypes oder in die anderer Bands, wie die der Band Ja, Panik, deren legitime Nachfolger doch irgendwo in ihnen stecken könnten und dort darauf warten gefunden zu werden...

  ...Paul, Xavier und Romy sehen sich aber nicht als Ansteckblümchen am bordeauxfarbenen Cordsakko eines neuen Austropop oder als Band, die Angst davor hat ganz neue Wege zu gehen. Obwohl Paul die Vergleiche mit Ja, Panik, Wanda und Co an sich nicht stören, weil er bislang alle Referenzbands auch irgendwann einmal mochte. Paul und die Jets möchten dennoch anders sein – auch das wurde ihnen von vielen Seiten bereits mit rotem Edding auf die Fahne geschrieben. Dieses Andere ist jedoch sehr schwer zu definieren vor allem dann, wenn nicht ganz klar umrissen ist, was auf der anderen Seite des Anderen liegt, denn eine klare Pose möchten sie, zumindest mit ihren drei bisher veröffentlichten Songs, nicht einnehmen. Falls das nun irgendwie Sinn macht. Sonst eben anders und lieber so, wie Paul es selbst erklärt: „Ist wirklich nicht ganz klar, aber ich glaube es hat etwas mit dem Kreischen zu tun, mit dem Nachahmen des Furchtbaren, mit einem Versuch, der nur scheitern kann, aber eben zulässt, was dabei herauskommt. In der Produktion der Musik war es ein Anliegen, dass der Sound ‚queer‘ klingt, nicht nach Gitarrengeschrammel, nicht nach Adoleszenzdrama, eher nach Weltuntergang. Und dieser Untergang ist jetzt. Ich glaube, ich habe nach einem Soundtrack dafür gesucht, nach einer Art der Produktion, deren Geschichte noch nicht zu Ende erzählt ist, ein Sound, der nicht organisch ist, sondern wie ein Fleckerlteppich, ein Hybrid aus dem, was mir und später uns zusammen passiert ist. Mein erstes Bandmitglied war der Computer, später brach ich den digitalen Schrott mit Xavier auf ein Punk-Duo herunter und nun sind wir mit Romy und dem Computer zu viert unterwegs. Wir haben Lust auf alles, manchmal mehr auf das Digitale, manchmal mehr aufs Organische, aber sobald es sich öde anfühlt, möchten wir es nicht machen. Das meiste ist Experiment. So sind auch die Songs entstanden.“

RAHMENHANDLUNG: SOFT SCHOCKIEREN

Zu den eigenen Erwartungen des Sängers und Gitarristen an seine Musik gehört immer auch die Implementierung eines „guten, sensiblen Schocks“. Eines sogenannten Soft-Schocks, der Paul innerhalb des Systems der Popmusik die Möglichkeit gibt zu verstören, ohne sich dabei darauf einlassen zu müssen den Pop-Rahmen zu verlassen. „Wie es bei einem guten alten Godard-Film der Fall ist oder wenn man ein neues Essen ausprobiert – zu viel Schock soll es nicht sein. Ich finde Slipknot cool, aber es ist nicht der Rahmen, in dem wir uns mit unserer Musik bewegen wollen.“ Diesen Rahmen gänzlich zu sprengen, zählt deshalb nicht zu den erklärten Zielen von Paul und den Jets. Lieber möchten sie innerhalb ihres eigenen Bilderrahmens für die ein oder andere schiefe Linie sorgen. Sind diese Grenzlinien fein genug, geht es sich für Pauls Jets also gut aus, auch mal gewisse Grenzen zu überschreiten, soft soll der Schock schließlich sein. Mit ihren Köpfen durch die Wand wollen sie nicht. Und das ist gut so, schließlich brauchen sie die noch um Welten zu erdenken, die allen, die sich ein bisschen verloren fühlen, attraktive Angebote des Sich-Wiederfindens bieten. Diese sanft schockierenden Angebote kommen nicht von ungefähr, sondern direkt aus Paul selbst heraus: „Ich bin keiner der oft Techno hört, obwohl ich das cool finde. Eigentlich möchte ich einen Techno-Song machen. Die meisten Techno-Songs berühren mich nicht sehr, aber ich mag die Lautstärke und die Dringlichkeit. Ich kann nur die Sachen machen, die mich auch wirklich berühren, aufwühlen ist zwar auch gut, aber berühren gewinnt. Aus dem Versuch heraus, das Unnachahmliche nachzuahmen, berührbar zu machen, entstehen die meisten Fragmente der Lieder.“ Geht es nach Paul, sollte der oft zitierte softe Schock außerdem alle Ebenen des Systems Popmusik durchdringen. Die Texte, aber natürlich auch die Musik selbst. „Solche sanften Schockmomente ergeben sich zum Beispiel bei Wörtern wie ‚News‘ oder ‚Supermarkt‘, also Alltagswörtern, die man aus der sogenannten romantischen Musik nicht kennt. Aber auch aus der Art wie ich singe, wie ich das Wort ‚Üben‘ singe, zum Beispiel auf diese gequälte Art und Weise, die gleichzeitig viel zu hoch für mich ist. Ich glaube, dass ein guter Popsong immer diesen Schockmoment braucht.“

VERSCHOBENE BINDEGLIEDER
Auch Pauls Umgang mit Füll- und Bindewörtern, wie etwa mit dem Wort ‚aber‘ im Song „Diese Villa ist verlassen“ resultiert aus diesem Softschock-Bedürfnis. Für den Hörer oder die Hörerin bedeutet das, genau an jener Stelle an der die Sehnsucht nach einem bedeutungstragenden Ende in unglaubliche Höhen getrieben wurde, plötzlich alleine gelassen zu werden. Oder eben verlassen zu werden, aus einem Grund den man nicht kennt. So wie die verlassene Villa, die man eigentlich problemlos finden sollte, wäre da nicht dieses ‚aber‘ am Ende. Formal geht es Paul dabei vor allem um ein Verstecken und um ein Neugierig machen – schließlich steckt in jedem ‚aber‘ ja immer auch ein ‚aber was?‘ – eine Form von Erwartungshaltung. Paul löst dieses ‚aber‘ also von seiner ursprünglichen Funktion als Bindewort, trennt es von der vermeintlichen Lösung, lässt damit aber gleichzeitig eine mögliche Erlösung durchklingen. Vielleicht könnte man auch sagen, dass es eine Brücke ist, die einstürzt, sobald man sie betritt. Der Platz an dem man aufschlägt, muss jedoch kein furchtbarer Ort sein, sondern kann auch einer sein an dem man sich zwar völlig unerwartet, aber dann doch sehr gerne wiederfindet (oder eben wieder findet). Was bei solch geschickten Zügen, wie dem völlig exponiert ans Ende gerückten ‚aber‘ auch immer mitspielt, ist die Frage wie konkret man werden möchte und wie unkonkret man dennoch bleibt. „Definitiv ein Balanceakt“, wie Paul bestätigt. „Eigentlich finde ich das Konkrete besser, aber mit dem Unkonkreten lassen sich viele Dinge aufblasen wie ein Heißluftballon, weil es in den Köpfen der Menschen Dinge eröffnet. Gleichzeitig läuft man, wenn man sehr unkonkret bleibt, aber immer auch Gefahr, zu beliebig zu werden. Ich finde, dass uns dieser Balanceakt beim Song ‚22703‘ sehr gut gelungen ist.“ Momentan beschäftigt sich der Sänger und Multiinstrumentalist viel mit dem Thema Reisen, mit der „Vorstellung einer romantischen Flucht“, wie er es nennt. Dass darin eigentlich ein Widerspruch steckt, Flucht und Liebesrausch also gar nicht wirklich zusammen passen, beteuert er ebenfalls. Begonnen hat diese Auseinandersetzung eigentlich schon mit der „Villa“ – einem „Sehnsuchtslied“, wie Paul betont. Ganz egal, was in den kommenden Jahren und auf all den noch kommenden Alben passieren wird, es wird sich bestimmt zwischen großer Sehnsucht und sanftem Schock abspielen. Und: Es wird ewig sein.

 

 

 

Text SARAH WETZLMAYR  I  Fotografie MARCELLA RUIZ CRUZ  I  Styling JOHANNA BOUVIER  I  Make-Up NAOMI GUGLER & JULIA MARINICS  I  Fotoassistenz JULIAN HARATHER, DEJAN IVKOVIC, MARLENE MAUTNER, LAURA SCHAEFFER